Klare Ziele definieren und krankhaften Ehrgeiz vermeiden (von Dr Lutz Ammerer)

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Dr Ammerer, lt. Eigenaussage: „kein begnadeter Pianist, sondern nur ein (vielleicht) nicht völlig untalentierter Amateur-Pianist“ und sein hoch geschätzter Meister und Freund Jörg Demus

Der Ursache, an Burnout zu erkranken, liegt (oder lag bisher) meist dasselbe Muster zu Grunde: es sind Menschen mit hohen Erwartungen an sich selbst, quasi soziale „Vorzugsschüler“, die stolz sind, so aufopfernd und gut zu arbeiten. Einer der frühesten Fälle, an die ich mich erinnere, liegt sicher fünfunddreißig Jahre zurück. Ein Bekannter meiner Eltern hatte eine tolle Position in einer Tiroler Firma. Er war hoch motiviert, lebte Tag und Nacht für diese Firma, kannte die Inhaber fast freundschaftlich und entwickelte die Idee für ein völlig neues Produktsortiment, die das kleine traditionelle Unternehmen aufnahm und alsbald zu einem internationalen Großunternehmen machen sollte.

Dann kam ein Wechsel in der Führung, neue Strukturen wurden geschaffen, alte unwirtschaftliche Teile ausgegliedert und Angestellte und Arbeiter gekündigt. Unser Bekannter hatte die Aufgabe, die Namen derer zu listen, die entlassen werden sollten. In dieser beschaulichen kleinen Firma kannte jeder jeden, die Umstellung auf diese Art, mit vertrauten, guten Mitarbeitern umzugehen, war zu viel für ihn. Er zog sich immer mehr zurück, Schlaflosigkeit quälte ihn, er verließ letztlich das Unternehmen, unfähig noch einmal einen Schritt in sein Büro zu setzen. Mit über 50 bewarb er sich bei mehreren Firmen, die Job-Aussichten waren gar nicht so hoffnungslos. Er war häufig zu Gast bei meinen Eltern, sprach aber kaum, sie versuchten, menschliche Hilfe anzubieten, aber eine bedrückende Wand war zwischen ihm und ihnen gewachsen. Als wir wenig später von seinem Selbstmord erfuhren, waren wir betroffen, aber nicht überrascht.

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Sehr häufig kommen berufliche und private Belastungen zusammen, die alle eine Zeit lang noch bravourös gemeistert werden. Man arbeitet quasi Tag und Nacht, nimmt die Probleme mit nach Hause, um dort die nächsten vorzufinden. Beim Abendessen ist das Notebook aufgeklappt, das Tablet an, und ein paar Abrechnungen werden nebenbei korrigiert, zusätzlich wird ein Beschwerdebrief an den Mathematik-Lehrer der Tochter verfasst, ein Migräne-Spezialist für die Partnerin/den Partner gesucht und ein passender, perfekter Pfleger für die betagten Eltern.

Burnout ist längst keine Manager-Krankheit mehr, wir erleben eine wahre Epidemie dieses Zustandsbildes, insofern ist es durchaus korrekt, dass Burnout eben nicht als eigene Krankheit in den ISD Katalog aufgenommen wird. Vom Postbeamten bis zur Altenpflegerin können wirklich alle betroffen sein. Die Geschwindigkeit unserer Kommunikation steigert sich beinahe täglich. Wenn ich früher in ein Geschäft ging und etwas bestellte, kam es nach zwei Wochen an. Wenn heute etwas online bestellt wird, erwartet der Kunde die Zustellung am nächsten Tag oder besser noch am selben Tag. Wenn eine Bestellung früher nicht funktionierte, ging man ins Geschäft, fragte den Inhaber, warum es so lange dauerte und er erklärte es. Heute schreibt der Kunde eine wütende Online-Kritik und vergibt Negativ-Punkte in irgendeinem Feedback-coring. Das macht ungeheuren Druck.

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Waren es früher Lehrer, Manager, Krankenschwestern und Ärzte, so ist heute beinahe jeder gefährdet. Man braucht sich nur die Welt der Pharma-Industrie ansehen: vor 20 Jahren kannte ich jeden Referenten der vielen kleinen Familienunternehmen persönlich. Man plauderte, wenn es einmal in der Ordination ruhiger war, auch über Privates, über Urlaube und Freizeit. Jahrelang kamen diese netten oft schon älteren Damen und Herren und berichteten von Neuigkeiten in „ihrer“ Firma. Und dann kam die Welle der Fusionen und Elefantenhochzeiten in der Pharma-Industrie, die kleinen Familienunternehmen verschwanden eines nach dem anderen, heute beherrschen eine Handvoll Global-Player den gesamten Markt. Von Amerika ausgehend kam der Trend, hinter jeden Angestellten zwei Controller zu setzen. Innerhalb weniger Jahre, waren alle vertrauten Gesichter verschwunden, blutjunge Referenten werden beinahe im Monatstakt gewechselt, sitzen mit ihrem Tablet vor mir und scrollen vor meiner Nase durch diverse bunte Tabellen. Hinter ihnen sitzt in der Firma der Controller und notiert die Umsätze. „Und raus bist du“, heißt der beliebteste Satz in den mittleren und größeren Firmen mittlerweile.

Da bauen sich gewaltige Ängste auf. Früher waren es nur die Über-Ehrgeizigen, die von Burnout betroffen waren, heute zeichnet sich ein Wandel ab: der Druck wird für immer mehr Menschen einfach zu groß. Mit 20 hält man das aus, mit 45 aber nicht mehr und gerade für die 40Plus-Angestellten wird es brandgefährlich nachzulassen, da laufen ja noch die Kredite für die Eigentumswohnung, die Kinder sind meist noch klein und fordern volle Aufmerksamkeit, dem Partner geht es nicht anders, denn immer öfter braucht es zwei Gehälter, um den Lebensstandard halten zu können.

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Statt Burnout verwendet man häufig Diagnosen wie „Überlastungssyndrom“ oder „Anpassungsstörung“. Ein allgemeines Ohnmachtsgefühl macht sich breit, die Betroffenen fühlen sich nicht mehr Herr der Lage: so gut man auch arbeitet, im Hintergrund sitzt der Controller am PC und überprüft nach anderen Kriterien die Arbeit oder der anonyme Poster im Online-Portal irgendeiner Internet-Plattform startet eine Mobbing-Kampagne gegen das mühsam aufgebaute start-up Unternehmen und zieht das Rating von 5 Sternen auf 2 Sterne hinunter. – Manche Menschen lieben zwar Online-Shopping, sehnen sich aber nach der alten Zeit mit ihrer beschaulichen Kommunikation zurück. Da hat man noch mit der eigenen Hand und Füllhalter oder Geräten wie Schreibmaschinen Briefe geschrieben, es gab Dorf-Wirtshäuser, in denen natürlich viel Unsinn geredet wurde, aber es wurde wenigstens geredet und zwar von Mensch zu Mensch. Wenn man seine Arbeit gut machte, konnte man sicher sein, der Chef würde auch zu einem halten, wenn man einmal ein Tief hatte, weil die Kinder krank waren, der Partner ein Problem hatte usw.

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Aber die Entwicklungen sind unumkehrbar, das Tempo und der Kontrollzwang steigern sich und nehmen immer mehr auch von unserem Privatleben Besitz: das Smartphone in der Hosentasche meldet jede Sekunde mittels GPS Signal an Google und Facebook, wo man gerade spazieren geht, die Kreditkartenfirmen und diverse Regulierungs-Institutionen von Lebensversicherungen bis Finanzämtern träumen davon, jede Aktion jedes Bürgers zu durchleuchten und zu analysieren. Das Misstrauen sitzt sehr tief, man sieht das ja auch in den politischen Entwicklungen in den westlichen Staaten. Da braut sich etwas zusammen, das hohe Sprengkraft hat. Heute sitzt jedem die Angst im Nacken: wenn ich einmal nicht in Topform bin, sieht das der Controller in meiner Performance und weg bin ich!

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