F: Woran erkennt ein Partner, Verwandter, Freund, dass ein geliebter Mensch an Burnout leidet, wenn er/sie nicht selbst darüber spricht? Gibt es (sichere) Hinweise im Verhalten der Betroffenen?
Foto: Sissi Furgler
A: Als Kuriosität muss man vorweg erwähnen, dass es offiziell keine Krankheit namens „Burnout“ gibt. Das ist vielleicht etwas überraschend, aber sie wurde in den ICD Kodex (International Classification of Diseases), der immerhin 78000 Krankheitsnummern enthält, nicht aufgenommen mit der offiziellen Begründung, dass die Beschreibung Burnout zu vieldeutig ist und daher kein eigenes Krankheitsbild darstellt, das eine ICD Klassifizierung ermöglicht. Süffisante Stimmen aus medizinischen Fachkreisen meinen aber, dass die Verfasser des psychiatrischen ICD Kataloges „Burnout“ deswegen nicht als psychische Krankheit klassifiziert haben, damit ihre eigene Befindlichkeit ebendort nicht als Krankheit gelistet wäre …☺- Aber zur Frage: Für die nähere Umgebung ist es nicht immer leicht, die Veränderung des betroffenen Menschen sofort zu erkennen, das gilt ja für sehr viele psychische Erkrankungen, da die Veränderung langsam stattfindet und erste Symptome eben oft nicht als „Symptome“ eines pathologischen Gemütszustandes erkannt, sondern leider sogar als absichtliche Kränkungen wahrgenommen werden.
Aber im Wort „Veränderung“ liegt ein wichtiger Schlüssel: Wenn ein vertrauter Mensch sich in seinem Wesen verändert, fällt dies der engeren Umgebung normalerweise relativ früh auf. Ich höre dann oft die Beschreibung: mein Mann/ meine Frau/ der Papa/ der Onkel etc sind so fremd geworden, sind nicht mehr so, wie sie einmal waren, ich kann mit ihm/ihr nicht mehr reden usw. Jetzt wird es medizinisch natürlich schwierig, dem Angehörigen weiter zu helfen, denn hinter solchen Beschreibungen kann eine Unzahl von Zuständen stecken: von Lebenskrisen (Klassiker „midlife-crisis“), über Beziehungsprobleme, Kommunikationsdefizite, Depressionen, Psychosen, Nebenwirkungen von Medikamenten, Demenz-Erkrankungen bis hin zu Tumoren oder Metastasen im Gehirn. Für gewöhnlich ist eine seriöse Diagnose oder auch nur Verdachtsdiagnose ohne eingehendes Gespräch mit dem Betroffenen und oft auch Ausschluss organischer Ursachen daher unmöglich.
Gerade bei Burnout sind zudem die Wesensveränderungen sehr mannigfach und können in alle Richtungen ausschlagen, also nach Plus und Minus, in die manische oder die depressive Achse einer bipolaren Erkrankung, oft auch in suchtähnliches Verhalten (der manischen Achse zuzuordnen) wie Kaufsucht oder Internetsucht, oder sie können Angstneurosen oder Hypochondrien ähneln. Der Einfachheit halber könnte man es aber auf einige ganz typische Wesensmerkmale reduzieren, die der nahen Umgebung auffallen sollten: der/die Betroffene zieht sich zurück, er/sie, der/die immer so voller Energie und Engagement war, ist plötzlich schlaff, muss sich zu allem aufraffen, redet über die Probleme des Alltags nicht mehr, will nur noch Ruhe haben, nicht angesprochen werden, schläft früh-abends ein, klagt aber nachts über Schlaflosigkeit und kommt morgens mechanisch, aber mit größter Überwindung aus dem Bett. Diese Symptome tragen, wie man sieht, alle Merkmale einer Depression. Zugleich ist der Betroffene aber oft auffallend aggressiv, jede Kleinigkeit bringt ihn/sie aus der Fassung, er ist reizbar und gereizt, hat mit den eigenen Kindern keine Geduld mehr, wird eventuell sogar handgreiflich, obwohl er/sie früher der friedlichste, freundlichste und geduldigste Mensch war. „Redet mich nicht an!!“, „Lasst mich BITTE in Ruhe!!“ hören die Freunde und Partner immer häufiger.
Außerdem macht sich bei der früher so mitfühlenden Person Zynismus breit: Unternehmer, die sich immer über ihre zufriedenen Kunden freuten und Geräte mit Engelsgeduld erklärten, verachten plötzlich ihre eigene Kundschaft, auf Fragen wird nicht mehr eingegangen, unter Freunden oder gegenüber dem Partner wird die Ungeduld entladen, Kunden, die ein technisches Gerät nicht sofort bedienen können, werden ins Lächerliche gezogen oder beschimpft, Schüler, die ein Problem nicht sofort lösen können, als unfähig und dumm verachtet usw. Gerade dieses Verhalten ist hoch charakteristisch: hohes Engagement kippt ins Gegenteil, die Selbst-Überforderung und Erwartungshaltung wird kompensiert durch Distanzierung und Verächtlich-Machung des zuvor Hofierten (sei es Firma, Kunde, Schüler oder Patient). Daher kommt Burnout gehäuft in Berufen mit hohem zwischenmenschlichem Kontakt vor (Lehrer, Abteilungsleiter, medizinisches Personal), kaum ein zwischenmenschlich agierendes Berufsbild ist davor gefeit, vom Schuldirektor bis zu haushaltsführenden Mutter. Gerade dieses Verhalten verstört Partner oft extrem, denn er/sie fühlt sich als Blitzableiter und sagt sich entsetzt „Das ist nicht die Person, die ich geheiratet habe, nicht die Person, für die ich einmal Liebe empfunden habe!“. Damit kommt ein Teufelskreis in Gange. Mit der Entfremdung des Partners hat der Betroffene den letzten Rückhalt verloren, eine Trennung, Scheidungsbegehren, Rosenkrieg kann dann zuviel werden und zur Katastrophe führen.
Um im eigenen Berufsstand zu bleiben: innerhalb der letzten 15 Jahre verübten im Umkreis von ca 30 km um meine eigene Ordination vier Ärzte mit eigener Praxis Selbstmord. Die Suizidrate unter Ärzten ist fünfmal höher als unter der österreichischen Durchschnittsbevölkerung (die europaweit ohnehin eine der höchsten ist). Ich predige meinen Studenten daher ständig, auf die Gefahren zu achten und rechtzeitig gegenzulenken, denn einer von 500 Ärzten wird im Laufe seines Berufslebens durch Suizid sterben, das ist erschreckend, umso mehr, als diese armen Kollegen oft noch wenige Stunden vor ihrem Freitod Patienten behandeln mussten. Dieses Paradoxon muss man sich einmal vor Augen führen!
Fortsetzung folgt … (Anfang August)
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