Tips zum Zusammenleben mit einem chronisch kranken Menschen - Interview mit Dr Gisela Heldt

F: Soll sich jemand, der an einer chronischen Krankheit leidet, Familie, Freunden und Arbeitskollegen anvertrauen und Trost und Hilfe bei ihnen erbitten?

A: Ja, man soll sich Trost und Hilfe von anderen einholen, aber häufig ist es besser, Personen zu wählen, die nicht den Alltag privat oder beruflich mit den Betroffenen teilen. Familienangehörige reagieren auf die Diagnosen, ihre Ängste und Fragen häufig anders als erwartet. Wenn die Betroffenen das Gefühl bekommen noch die Vertrauensperson mittragen zu müssen, geht das häufig über die Kräfte.

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F: Wie geht man langfristig mit einer Krankheit um, deren Ausgang nicht absehbar ist? Was kann man – ganzheitlich gesehen – für sich tun, um kraftvoll und psychisch stabil zu bleiben?

A: Auf diese Frage gibt es eine Antwort, die aber so gut wie nie umgesetzt wird. Man sollte schon bei leichteren Erkrankungen, mit seinem Umfeld ins Gespräch kommen und Krankheiten besprechen. Aber wie kann man die Waage halten zwischen, der redet ja ständig über Krankheit und hat doch nur eine Erkältung, und wie würde das aussehen, wenn der Durchfall diesmal ein Anzeichen von Darmkrebs wäre? Eigentlich müsste man diese Frage von Krankheit lösen und sagen, wie gehen Menschen insgesamt miteinander um. Haben sie es geschafft, ein respektvolles harmonisches Umfeld zu schaffen? Übungsfelder hierfür sind z.B. Gestaltung von Familienfeiern oder Familienurlauben und in Gemeinden. Wie kann man in Kleingruppen oder Hauskreisen zurechtkommen und im Arbeitsbereich? Was kann man an positiven Veränderungen durchsetzen und an welcher Stelle kann man, ohne ärgerlich zu werden, akzeptieren, was andere vorschlagen. Das führt eigentlich zum Kern: wie gehe ich mit mir selbst um, wie gehe ich mit Positivem oder Negativen um, was sind meine ethischen Grundwerte und wie gestalte ich daraus mein Leben? Dies hört sich für einen Vortrag immer ganz nett an, die Umsetzung ist deutlich schwieriger. Dabei muss man auch einmal lernen, Menschen oder Dingen loszulassen und neues kennenzulernen. Nicht ein verletztes beleidigtes Zurückziehen, sondern ein aktives positives Neugestalten.

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F: Wie kann man Angehörige unterstützen, um mit der Situation umzugehen, dass man einen Schwerkranken pflegen und auch ablenken und unterhalten soll?

A: Wenn man genau weiß, dass diese Situation, in der man sich befindet, in eine langanhaltende Lebensveränderung führt, kann man etwas objektiver draufschauen und Strategien entwickeln. Das ist in der Regel aber nicht so. Die Betroffenen und die Angehörigen werden mit der anscheinend plötzlich entstandenen Krankheit und damit verbundenen Veränderungen konfrontiert. Auch wenn man ohne Belastung einmal über Krankheit oder Ähnliches gesprochen hat, ist die auftretende Situation immer plötzlich. Kaum einer hat die Möglichkeit, in Ruhe zu besprechen, was denn jetzt wie und wie lange erforderlich ist. Die meisten reagieren mit intensiver Aktivität, in der verkehrten Vorstellung, wenn jetzt schnell und richtig gehandelt wird, kann man diese „Situation“ wieder ungeschehen machen. Deshalb ist es für viele so schwer, den ihnen entsprechenden Weg zu finden. Es sind Wege eingeschlagen worden, die man bei gründlichem Überdenken nicht gewählt hätte, oder zumindest zeitlich begrenzt hätte. Die meisten merken erst, wenn sie an ihre Leistungsgrenze, ob psychisch oder physisch ist gleich, geraten sind, dass es so nicht weitergehen kann. Die Angehörigen glauben aber, sie kommen jetzt aus diesen Verpflichtungen nicht mehr raus. Wer soll denn ihre Rolle übernehmen? Wer macht dass alles so gut und richtig, wie es sich jetzt entwickelt hat? Keiner ist in der Lage zu überprüfen, was ist richtig, was ist angemessen. Daraus ergibt sich bei mir in der Praxis immer, dass ich Angehörige auffordere zu schauen, was können sie selbst leisten, was wollen sie leisten, ohne das sie selber sich in eine Richtung entwickeln, die ihnen nicht angemessen ist, z.B. sehr schnell erschöpft sein, dann ärgerlich zu werden, sowohl auf den Patienten als auch auf sich selbst. An dieser Stelle merkt man fast immer, ob die Angehörigen selbst in ihrer Lebenssituation gefestigt sind oder ob gerade diese Situation zu drastischen Lebensveränderungen führen.

DR HELDTS RAT

Imme versuchen, ruhig zu bleiben, wenn man schwere Entscheidungen treffen muss. Stark im Charakter sein und hilfreich bleiben.

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