Eigenartiges Burnout und seine verschiedenen Entwicklungen (von Dr Lutz Ammerer)

F: Woran erkennt ein Arzt, dass ein Patient an Burnout leidet? Gibt es Zeichen und Entwicklungen?

A: Grob gesagt gibt es zwei Arten von Problemstellungen in der Praxis: einige Patienten haben auf Grund der Medienpräsenz des Begriffs Burnout bereits selbst die korrekte Verdachtsdiagnose gestellt und erwarten nun Bestätigung und Therapie. Oft geschieht es aber auch, dass jemand kommt, etwas über eine harmlose Erkältung erzählt, dann aber nicht aufsteht und sich verabschiedet, sondern sitzen bleibt und irgendwie nach Worten sucht.

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Man muss den Menschen dann einfach etwas Zeit lassen für ein spontanes Gespräch, auch wenn man dafür erstens keinen Cent von der Krankenkasse bezahlt bekommt und man dadurch – was noch wesentlich unangenehmer ist – andere im Wartezimmer ausharrende, ungeduldige Patienten vergrämt oder man gar von manchen beschimpft wird, wie es mir schon etliche Male passierte. (Im Internet Zeitalter ist es dann für uns Ärzte besonders ärgerlich, wenn solch genervt „Wartende“ sich bemüßigt fühlen, auf „docfinder“ oder ähnlichen zweifelhaften Online-Plattformen anonyme „Verrisse“ der Ordination als öffentlich einsehbares Feedback verfassen und festhalten, dass diese Ordination die schlechteste sei, die sie je erlebt haben, da sie wegen einer Krankmeldung eine Stunde warten mussten, weil dieser Arzt so langsam arbeitet usf).

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Als Arzt muss man hier trotzdem eindeutig Prioritäten zugunsten des zeitaufwendigen Gespräches setzen, auch wenn betriebswirtschaftliche und organisatorische Gründe eigentlich dagegen sprechen. Wenn man den Menschen bei diesem Erstgespräch also etwas Zeit lässt, bricht es dann oft sehr klar aus ihnen heraus, häufig mit Worten wie „eigentlich bin ich ja wegen etwas anderem hier“, dann beginnt sich der enorme Druck zu lösen und man kann anfangen, Kernprobleme herauszulösen und Therapieansätze herauszuarbeiten. Viel schwieriger zu therapieren sind jene Menschen, die das Problembewusstsein kategorisch negieren, sogenannte „Somatisierungen“, und wortreich allerhand Symptome präsentieren, intensives Doktor-Shopping betreiben, also von einem Arzt zum nächsten pilgern, um endlich eine organische Ursache ihrer psychisch bedingten Beschwerden diagnostiziert zu bekommen, aber tief gekränkt davonlaufen, falls der Arzt nach Durchsicht aller Befunde (oft führen diese Menschen dicke Ordner mit samt und sonders unauffälligen Befunden mit sich) die Möglichkeit einer psychischen Ursache andeutet.

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Hier verläuft die Grenze zu anderen psychischen Erkrankungen wie Somatisierungsneurosen. Viele Ärzte sind hier völlig überfordert, manche verlieren nach der fünfzigsten Konsultation verständlicherweise die Geduld, da trotz unzähliger Gespräche keine Einsicht zu erzielen ist, dass psychotherapeutisches Vorgehen die bessere Option wäre, statt wegen ständig neuer Beschwerden von einem Arzt zum nächsten zu wandern und das jahrelang. Viele Kollegen, vor allem sogenannte „Spezialisten“ für bestimmte organische Erkrankungen, machen es dann mangels psychologischer Grundausbildung noch schlimmer, indem sie dem Patienten aus Verlegenheit exotischste Krankheitsbilder nennen, die der Betroffene gierig aufsaugt und bereits an der Ordinationstüre via mobilem Internet als „seine“ neue Krankheit zu entdecken versucht. Diese Kollegen geben dann – oft als Ausflucht, um den Patienten endlich loszuwerden – unsinnigste Ratschläge, er möge doch zu seinem vorher behandelnden Arzt zurückgehen und diese oder jene Spezialuntersuchung durchführen lassen, da sie offenbar trotz hunderter Befunde noch nicht gemacht wurde.

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Diese Patienten kommen boomerang-artig immer wieder mit neuen nichtssagenden Befunden zurück, führen dann den zweiten dicken Bene-Ordner unterm Arm. Hier sind es eher die Angehörigen, die andere für Burnout typische Symptome wie die letztens erwähnte Gereiztheit oder den Rückzug beschreiben, während der Betroffene selbst Tag und Nacht nur mit der akribischen Beobachtung seiner unzähligen Beschwerden beschäftigt ist. Oft ziehen sich diese Patienten enttäuscht von der sogenannten Schulmedizin zurück und suchen – meist ebenso erfolglos – ihr Heil in alternativen Behandlungsformen. Selten passt vielleicht einmal zufällig die „Chemie“, und ein Behandler, das kann ein Arzt sein, ein Psychotherapeut, ein Ayurveda Therapeut, ein Masseur, ein Kinesiologe, ein Feldenkrais Therapeut, ein Homöopath, ein Schamane usw. findet den richtigen Zugang und durchbricht den Teufelskreis für gewisse Zeit. – Fortsetzung folgt …

MEDICI&MORE TIP

Für alle, die krank oder verärgert sind oder sich missverstanden fühlen – durchatmen, eine Pause, einen Spaziergang machen, die Natur genießen z.B. hier.

 

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