Der Ballett-Geschichte dritter Teil – Interview mit Karl Reinisch

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F: Haben Sie schon während Ihrer aktiven Zeit als Tänzer nachgedacht, was Sie später einmal machen würden? Gab es auch andere (Wissens)Gebiete, für die Sie sich besonders interessierten?

A: Oh ja, da gab es immer viel. Schon als Tänzer an der Staatsoper in München und als junger Lehrer ahnte ich, dass das Ballettwissen allein nicht genügt, um mit fremden Bewegungsapparaten zu arbeiten, und ich beschloss Anatomie zu studieren. Ein weiser Professor riet mir, für meine Zwecke besser Physiotherapie zu machen, was mich dann auch sehr faszinierte und die Grundlage für meine künftige pädagogische Arbeit darstellte. Ich bilde Berufstänzer und Ballettpädagogen aus. Meine besondere Liebe gilt aber den Kindern und Amateuren. Sie lieben ihr Ballett um der Sache Willen und sind frei vom Berufsstress, denen die Bühnentänzer unterliegen. – Die wichtigste Botschaft in diesem Zusammenhang ist, dass man mit Ballett in jedem Alter beginnen kann, solange man gehen und laufen kann. Natürlich heißt es, die individuellen körperlichen Grenzen zu respektieren. Schönheit und Harmonie der Bewegung ist aber an keine Altersgrenze gebunden, und die rein sportliche Komponente muss man individuell ausloten.

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F: Wodurch unterscheidet sich Ballett von anderen Sportarten?

A: Ballett bezieht den ganzen Menschen mit ein, Geist, Seele, Körper. Sport bezieht sich auf den Körper und meist nur auf bestimmte Körperpartien, im Ballett dagegen ist die größtmögliche Bewegungseffizienz gegeben. Sport kennt Kraft- oder Ausdauer-Training, Ballett beinhaltet beides. Außerdem wird die Koordinationsfähigkeit geschult und vor allem Schönheit und Harmonie der Bewegung angestrebt. Im Ballett gibt es keinen Leistungsdruck oder Konkurrenzdruck. Jeder gibt sein bestes.

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F: Zuletzt eine Frage, Sie werden sicher erraten, was ich fragen möchte – gibt es noch ein Beispiel von jemandem, der mit Ballett in einem gewissen (fortgeschrittenen) Alter begonnen hat?

A: Natürlich, da gibt es viele! Eine ältere Dame kam häufig an Nachmittagen in meine Ballettboutique neben der Ballettschule, um für ihre Enkelin einzukaufen. Eines Tages rief sie an, ob sie abends gegen 19 Uhr vorbeikommen könnte. Als sie da war, bemerkte sie einige andere Damen ihren Alters, die aber nicht in der Boutique einkauften, sondern weitergingen, eine nach der anderen. Sie wurde immer neugieriger und fragte, was sie hier machten. Als sie erfuhr, dass die Damen zum Erwachsenen-Ballettkurs kamen, war sie sprachlos, aber auch glücklich: ihr Kindheitstraum stand vor einer späten Erfüllung. Jetzt in der Pension hatte sie auch die Zeit dazu. Sie vergaß völlig, dass sie für ihre Enkelin einkaufen wollte, deckte sich stattdessen selbst mit allem Nötigen ein und … stand am nächsten Abend an der Stange! Dort trainiert sie – sie ist mittlerweile an die 70 Jahre alt – auch heute noch, etwa 10 Jahre später.

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